K. Siebenhüner: Die Spur der Juwelen

Cover
Titel
Die Spur der Juwelen. Materielle Kultur und transnationale Verbindungen zwischen Indien und Europa in der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Siebenhüner, Kim
Reihe
Ding, Materialität, Geschichte
Erschienen
Köln u.a. 2018: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
425 S.
Preis
€ 60,00
von
Susanna Burghartz, Universität Basel , Historisches Seminar

Mit der Spur der Juwelen legt Kim Siebenhüner eine ebenso perspektivenreiche wie gut lesbare kulturhistorische Studie zu einem globalen Gut, seiner Bedeutung und seinem Gebrauch in der Frühen Neuzeit vor, welches die Menschen seit je her fasziniert hat. Sie positioniert ihre Untersuchung an der Schnittstelle von Wissensgeschichte, materieller Kultur bzw. der Geschichte der Dinge, Globalgeschichte, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte und integriert auf diese Weise verschiedenste Ansätze, die in den letzten Jahren Beiträge zu einer Geschichte der Juwelen geleistet haben, zu einem spannenden Panoptikum. Im Anschluss an und jenseits von Arjun Appadurais trajectories, dem wirtschaftshistorischen Konzept der commodity chains und Igor Kopytoffs cultural biography of things entwickelt sie im ersten, einleitenden Kapitel die kulturhistorisch fundierte Figur der «Itinerare», die es ihr erlaubt, die Spur von Juwelen aufzunehmen und von ihnen zu erzählen, ohne allzu rigiden Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen folgen zu müssen. «Itinerare» ermöglichen, die Mobilität der Dinge, in diesem Fall der Juwelen, nachzuzeichnen und ihre transkontinentale Zirkulation zu verfolgen, Verflechtungsprozesse her vorzuheben und die Veränderungen ihrer Funktionen und Bedeutungen in verschiedenen Räumen und kulturellen Zusammenhängen wie auch zu verschiedenen Zeiten darzustellen. Der Begriff des «Itinerar» bezeichnet so einen konzeptuellen Zugriff und verweist zugleich mit den verschiedenen Reisestationen auf eine Darstellungsform.

Das zweite Kapitel nutzt mit Reiseberichten und Enzyklopädien Genres, die im Untersuchungszeitraum massiv an Gewicht gewannen, um die europäischen Wissensmöglichkeiten über die «Schätze des Orients», konkret hier die Edelsteine im Bereich des Indischen Ozeans, und seine zunehmend empirische Fundierung mit Informationen über Fundorte und Märkte über das bereits bei John Mandeville erzählte hinaus zu fassen. Dabei erweist sich das Beispiel des Mogulhofes mit seinem sagenhaften Juwelenbesitz als interessanter Knotenpunkt, um anhand eines besonderen europäischen Sammlungsstückes, Dinglingers «Thron des Grossmogul» in Dresden, dinggeschichtlich die Bedeutung vorzustellen, die die indischen Ressourcen im Wissenshaushalt und den erwartungsvollen Imaginationen Europas innehatten.

Das dritte Kapitel widmet sich auf einer breiten Forschungsbasis der Bedeutung von Juwelen am frühneuzeitlichen Mogulhof, wo sie als Waren, Gaben, Beutestücke und Repräsentationsobjekte eine wichtige Rolle spielten. Dabei zeigt sich deutlich, dass Juwelen keineswegs nur Gegenstand des Transkontinentalhandels waren, sondern auch eine innerkontinentale, indische Geschichte mit grosser ökonomischer, vor allem aber sozialer und symbolischer Bedeutung hatten, wie an einzelnen Objekten – etwa Sammlungen mit gravierten Edelsteinen – besonders gut sichtbar wird. Gleichzeitig werden am Mogulhof Praktiken des Austauschs wie der «Singularisierung» fassbar, die den Gebrauch der Dinge wesentlich beeinflussten und zugleich von ihnen geprägt wurden.

Das vierte und fünfte Kapitel thematisieren die kommerzielle Zirkulation. Zunächst geht es im vierten Kapitel um die indischen Juwelenmärkte mit ihren vielfältigen Akteuren unterschiedlicher regionaler, religiöser und ethnischer Herkunft, auf denen die europäischen Händler nur eine marginale Rolle spielten. Am Beispiel von Mir Jumla, Banarasidas und Jean-Baptiste Tavernier, die alle auf dem indischen Subkontinent am Juwelenhandel beteiligt waren, wird die Vielfalt der Akteure, ihrer unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten, nicht zuletzt in der globalen Arena, aber auch ihrer verschiedenen biographischen Wege exemplarisch sichtbar.

Das fünfte Kapitel nimmt den Faden der globalen Warenketten in Europa auf und verfolgt ihn anhand der Interaktionen zwischen Kaufleuten und Konsumenten weiter. Am Beispiel von Fugger, Hainhofer und Dürer in Augsburg und Nürnberg wird die hohe symbolische Bedeutung der Juwelenbeschaffung jenseits gewinnorientierter Märkte sichtbar, während die Geschichte der Glikl bas Judah Leib wie so viele andere auf die Bedeutung von gebrauchtem Schmuck und Juwelen auf Second Hand Märkten und in der Pfandleihe verweist. Auf Seiten der Konsumenten werden bei der Suche nach passenden Juwelen deren affektive und emotionale Qualitäten thematisiert, aber auch die Aktivierung weitgespannter Netzwerke in ganz Europa, die für die erfolgreiche Erledigung von Beschaffungsaufträgen zentral waren.

Das sechste Kapitel schliesst hier an und nutzt die reichen Nürnberger Inventare, die Wittelsbacher Haussammlung und deren Dokumentation durch das aussergewöhnliche Kleinodienbuch von Hans Mielich, Nürnberger Gerichtsquellen und Egodokumente von Veit Konrad Schwarz, Willibald Imhoff und Hans-Ulrich Krafft, um den Umgang der Besitzer mit den Dingen und ihrer Materialität sichtbar zu machen. In ihren Praktiken wird das soziale Leben der Juwelen, die Interaktionen zwischen Menschen und Objekten in ihrem Alltag, nochmals besonders anschaulich.

Ein letztes, siebentes Kapitel bietet ein kurzes Fazit zum Thema der «Juwelen in der frühneuzeitlichen Welt der Dinge», ihrer wachsenden Bedeutung in der Formierung einer zunehmend global funktionierenden Konsumkultur, im interkulturellen Geschenkverkehr, der unter dem Stichwort der «Eigenmächtigkeit» angesprochenen, transkulturell geteilten Vorstellung von den magischen Kräften der Edelsteine, ihrer identitätsstiftenden Möglichkeiten im Verein mit anderen Dingen nicht zuletzt zur sozialen Positionierung und ihrer besonderen Langlebigkeit, die sie zum Inbegriff einer frühneuzeitlich-vormodernen Gebrauchskultur der Wiederverwendung und des Erhalts von Ressourcen werden lässt.

Die Stärke der vorliegenden Studie besteht in ihrer klugen Architektur, die es erlaubt konsequent einen doppelten Blick auf Beispiele aus Indien und dem frühneuzeitlichen Reich zu werfen und dabei auch für die Geschichte der Juwelen weniger bekannte Quellen fruchtbar zu machen. Sie kann so verschiedene Fallstudien mit systematischeren Überlegungen zu einem interessanten, bisweilen faszinierenden Mosaik zusammensetzen und Mikroanalysen mit stärker verallgemeinerbaren Überblickspassagen kombinieren. Dass die gewählte Methode auch Kostenseiten hat, liegt in der Natur der Sache und ist – gerade auch mit Blick auf die Globalgeschichte – nicht zu vermeiden. Itinerare verfolgen Pfade, die zahlreiche Anschlussstellen und Weggabelungen enthalten, die zu alternativen Wegen mit anderen Konstellationen, Zusammenhängen und Schwerpunkten führen könnten. Kim Siebenhüner legt mit ihrem Weg auf der Spur der Juwelen ein schönes Buch vor, das viele Möglichkeiten bietet, sich über bestimmte Itinerare zu informieren und zugleich dazu anregt, andere Itinerare für neue Projekte auszudenken, etwa mit Blick auf den Einbezug weiterer europäischer und aussereuropäischer Hofkulturen, die Akzentuierung der raumzeitlichen Dimension durch den konsequenteren Einbezug des frühneuzeitlichen Interesses an der Antike als anderem kulturellem Leitmotiv in Europa, die Fokussierung auf Fragen von Materialqualität, Materialbearbeitung und Materialgebrauch in verschiedenen Kulturen oder der Frage nach – womöglich transkulturellen – religiösen Praktiken im Umgang mit Juwelen, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Zitierweise:
Burghartz, Susanne: Rezension zu: Siebenhüner, Kim: Die Spur der Juwelen. Materielle Kultur und transkontinentale Verbindungen zwischen Indien und Europa in der Frühen Neuzeit, Köln 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 171-173. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.

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